Katherina Reiches Fahrplan in Washington, souffliert von der Industrie

Was Deutschlands neue Rolle im Welthandel bedeutet – verständlich, relevant, auf den Punkt.

Pro Industrie & Handel am Morgen

Von LAURA HÜLSEMANN

Mit ROMANUS OTTE und TOM SCHMIDTGEN

TOP-THEMA

— Wirtschaftsministerin Katherina Reiche reist in die USA. Im Koffer hat sie einen Denkanstoß aus der Autoindustrie. 

— Umstrittenes Gasprojekt in der Nordsee nimmt an Fahrt auf. Das Thema dürfte bald ins Kabinett kommen. 

Lars Klingbeil kündigte neues Geld fürs Bauen an. Es soll aus drei Töpfen kommen und den Bau-Turbo unterstützen.

Guten Morgen. In der gestrigen Ausgabe haben leider zwei Links zu Dokumenten nicht funktioniert. Die liefern wir gern nach: Hier geht es zum französischen Lieferketten-Kompromissvorschlag, hier zum Wind-Turbo, der gestern im Kabinett verabschiedet wurde. 

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THEMA DES TAGES

GO WEST: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche beginnt heute ihren Antrittsbesuch in den USA. Bis morgen geht es in Washington vor allem um Trumps Zollpolitik. 

Es soll vertraulich zugehen. Deshalb reist Reiche mit kleiner Begleitung, hört Tom Schmidtgen. Keine Presse, keine Wirtschaftsdelegation. Es gehe vor allem darum, Vertrauen aufzubauen. Am Freitag fliegt sie wieder zurück. 

Reiches Take: In DC wird die Ministerin Deutschlands Bedeutung für die US-Wirtschaft betonen. Tenor: Amerika profitiert enorm von uns. Deutschland ist der drittgrößte Investor in den USA. Der Konflikt im Nahen Osten bringe die Wirtschaft bereits in Turbulenzen, da brauche man unter Partnerländer keinen Handelskonflikt, so die Message. 

Im Gepäck hat Reiche ein Papier aus der Autoindustrie. Darin geht es um eine Angleichung technischer Standards, hört Laura Hülsemann von zwei Quellen aus der Branche. 

Angebot: Auf dem europäischen Markt gibt es zahlreiche technische Hürden für Autohersteller, wie Abgasnormen oder Vorschriften zur Beleuchtung, beim Lärmschutz oder zum autonomen Fahren. Trump kritisiert schon lange solche Handelshemmnisse. Jetzt könnten solche Standards angeglichen werden. 

Ein weiteres Thema könnte das Export-Verrechnungsmodell sein: Wenn deutsche Hersteller ein Auto aus ihren US-Werken exportieren, sollen sie dafür auch eines importieren dürfen – beides zollfrei. 

Offen ist, ob nach Stückzahl oder Wert verrechnet wird. Realistischer ist letzteres, hört Laura aus der Industrie. 

Eine Frage des Auftretens: Man sollte „mit konstruktiven Angeboten auf die Amerikaner zugehen“, sagte VDA-Chefin Hildegard Müller zu Laura. „Für die Beziehungen zwischen EU und USA sollte ein umfassendes Freihandelsabkommen weiterhin langfristiges Ziel sein.” Berlin und Brüssel sollten mit Blick auf die Zahlen, die sie erwirtschaften, selbstbewusst auftreten.

Germany first? „Trump könnte bestimmte Branchen bevorzugen, weil ihm bestimmte Länder wohl-gesonnen sind“, so ein Industrievertreter zu Tom. 

Pleased to meet you: In Washington dürfte Reiche Trumps Handelsbeauftragten Jamieson Greer wieder treffen, den sie vom OECD-Treffen von Anfang Juni bereits kennt.

To-Dos: Die AHK Washington organisiert am Samstag ein Frühstück mit Reiche und einer Delegation zahlreicher mittelständischer Unternehmen, die über Dependancen in den USA verfügen. Auch Pharma-Riese Bayer ist dabei, wie Tom hört. Treffen mit Kongress-Abgeordneten sind ebenfalls vorgesehen. 

Nicht dabei: Levin Holle. Merz Wirtschaftsberater ist zwar im Kanzleramt der neue Beauftragte für die wirtschaftlichen Kontakte zur US-Regierung, wie meine Kollegin Nette Nöstlinger aus Regierungskreisen erfuhr. Er reist aber nicht mit Reiche.

Frist läuft: Bis zum 9. Juli muss ein Deal stehen, sonst steigen die US-Zölle auf bis zu 50 Prozent. Langsam freundet sich die deutsche Industrie mit einem 10-Prozent-Basiszoll an, hören Laura und Tom aus unterschiedlichen Branchen. Vorbild könnte ein kleines Abkommen nach britischer Art sein. 

Bei seinem Antrittsbesuch in Washington hatte Merz mit Trump vereinbart, den „US German Economic Dialogue“ wieder aufzunehmen. Dabei soll es um bilaterale Fragen gehen, also nicht um den allgemeinen Handel, für den die EU-Kommission zuständig ist. Dieser Dialog werde „seitens der Bundesregierung üblicherweise vom Wirtschaftspolitischen Berater des Bundeskanzlers“ geleitet, hört Nette aus Regierungskreisen. 

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GASFÖRDERUNG

GAS AUS DEM WATT: Die Bundesregierung will den Weg für die umstrittene Erdgasförderung in der Nordsee vor Borkum freimachen. Dazu soll in Kürze der noch fehlende Vertrag mit den Niederlanden abgeschlossen werden, erfuhren Rasmus Buchsteiner und Romanus Otte aus Regierungskreisen.

Auf der Agenda: Das Thema stand bereits auf dem Kabinettsplan für den 24. Juni, kommt nach aktuellem Stand aber nicht auf die Tagesordnung. Dies habe aber keine inhaltlichen, sondern prozessuale Gründe, hieß es in den Kreisen. 

Chefsache: Über die Gas-Förderung hatte Friedrich Merz vor kurzem mit dem geschäftsführenden niederländischen Ministerpräsidenten Dick Schoof bei dessen Besuch in Berlin gesprochen.

Darum geht es: Das Amsterdamer Unternehmen One-Dyas erschließt ein Erdgasfeld im Wattenmeer zwischen den Inseln Borkum und Schiermonnikoog. Die Förderanlage steht rund 20 Kilometer vor Borkum auf niederländischem Gebiet. Von dort soll die Bohrung auch in deutsches Hoheitsgebiet führen. Der Probebetrieb lief bereits.

Das Gasfeld liegt 1,5 bis 3,5 Kilometer tief unter dem Watt. Die erwartete Erdgasmenge beträgt bis zu 13 Milliarden Kubikmeter. Diese Menge entspricht insgesamt rund 15 Prozent des jährlichen Gasverbrauchs in Deutschland.

Meins, deins: Das geförderte Gas soll zwischen den Niederlanden und Deutschland aufgeteilt werden. Insider gehen davon aus, dass das Gas zu marktüblichen Preisen je zur Hälfte an beide Länder geht.

Heftig umstritten ist die Gasförderung im ökologisch sensiblen Wattenmeer unter Umweltschützern. Auch das Land Niedersachsen und die Nordseeinseln Borkum und Juist lehnen das Vorhaben ab. Klagen stehen an, unter anderem gegen ein Seekabel, das die Plattform mit Strom aus einem niederländischen Offshore-Windpark versorgen soll. 

Stand des Verfahrens: Das Planfeststellungsverfahren ist laut der Landesregierung Niedersachsens abgeschlossen. Bereits im August hatte die zuständige Landesbehörde auch die bergbaurechtliche Genehmigung erteilt. Sie gilt für 18 Jahre, endet aber vorzeitig, falls Deutschland infolge der angestrebten Energiewende kein Erdgas mehr benötigen sollte.

Schlussstein: Nun fehlte noch der völkerrechtliche Vertrag zwischen den Staaten. Die Ampel hatte damit keine Eile. Die Merz-Regierung hat im Koalitionsvertrag vereinbart, den Abbau heimischer Rohstoffe zu fördern. Zum Erdgas heißt es konkret: „Wir wollen Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland nutzen.“

BAUINDUSTRIE

BAUEN, BAUEN: Finanzminister Lars Klingbeil verspricht mehr Geld für den Wohnungsbau, nachdem Verena Hubertz den Bau-Turbo ins Kabinett gebracht hat. 

Details gibt es nächste Woche, wenn der Haushaltsplan 2025 ins Kabinett kommt. Für erschwingliches Bauen sollen Gelder aus dem Kernhaushalt, KTF und dem Sondervermögen fließen, sagte Klingbeil gestern bei einer Pressekonferenz mit Hubertz auf einer Berliner Baustelle. 

Bloß keine Zahlen nennen: Der Bau-Turbo sei erfolgreich, sobald es bezahlbaren Wohnraum gebe, so Hubertz. Versprochene Zahlen nicht einhalten, wie ihre Vorgängerin, will sie nicht. 

Platte aus Holz: Serielles Bauen — auch mit Holz — will Hubertz fördern. Der deutsche Säge- und Holzindustrie Bundesverband (DeSH) ist zufrieden, das Material biete einen hohe „Vorfertigungsgrad” und eine große Chance. 

Kritik aus dem Wirtschaftsrat: Der BauTurbo sei eine „homöopathische Erleichterung” und werde „die Baukosten nicht spürbar senken”, kritisiert der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger. 

Die Probleme liegen „in einem komplett überregulierten Baurecht”, so Steiger. Nun brauche es eine „Wiederbelebung des EH55-Standards, mithin einen neuen Fokus auf Emissions- statt Energieeffizienz eines Gebäudes”. Außerdem müsse das Mietrecht investitionsfreundlich gestaltet werden und die Mietpreisbremse gelockert werden. 

HAUSHALT

ETAT FÜR WIND UND GAS: Die Bundesregierung bringt die gesetzlichen Voraussetzungen auf den Weg, um eine Reihe von Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag im Haushalt finanzieren zu können. Das geht aus dem Entwurf für das Haushaltsbegleitgesetz hervor, der Rasmus vorliegt. 

Erstens geht es um die geplante Abschaffung der Gasspeicherumlage. Die Kosten für die Versorgungssicherheit bei Gas sollen künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) bezahlt werden. 

Zweitens sollen die Einnahmen aus Ausschreibungen von Windkraftanlagen auf See länger in den Bundeshaushalt fließen. Das Geld soll für „Meeresnaturschutz“ und „umweltschonende Fischerei“ zur Verfügung stehen, aber auch „für die erheblichen Transformationsausgaben im Bundeshaushalt genutzt werden“. 

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SONDERVERMÖGEN: Damit das Geld ins Rollen kommt, hat Lars Klingbeil auch an dem Gesetzentwurf zum Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität gearbeitet. Dieser liegt Gordon Repinksi vor. 

GREEN CLAIMS

CLASH OF CLAIMS: Die geplante EU-Green-Claims-Richtlinie zu Umweltaussagen in der Werbung steht auf der Kippe. Die EVP-Fraktion im EU-Parlament forderte die Kommission gestern auf, die Richtlinie zu stoppen. Das Schreiben liegt meiner Kollegin Marianne Gros vor.

Die nächste Runde der Verhandlungen der EU-Institutionen steht am 23. Juni an. Dafür gaben die Vertreter der EU-Mitgliedsländer gestern grünes Licht. Dem hat Deutschland im Ausschuss der ständigen Vertreter nicht zugestimmt, hören Marianne von EU-Diplomaten und Romanus aus Berlin. 

Unternehmen fürchten neue Bürokratie. Besonders umstritten in der Industrie ist, dass Unternehmen Werbung mit „Green Claims“ künftig vorab genehmigen lassen sollen. Die Kommission hatte einen Kompromiss vorgeschlagen. Darin sollen die Pflicht zur Vorab-Genehmigung von Werbeaussagen unter bestimmten Voraussetzungen durch eine Selbstauskunft ersetzt werden. 

Der Zentralverband der deutschen Wirtschaft (ZAW) sieht darin eine Mogelpackung. Das vorgeschlagene „vereinfachte Verfahren” bringe im Gegenteil noch mehr Bürokratie, um der Bürokratie zu entgehen. Das Positionspapier des ZAW liegt Romanus vor.  

Alle Bedenken, die 21 Verbände gegen die Green-Claims-Richtlinie vorgelegt haben (hier), bestünden fort, so der ZAW. 

NOCH WENIGER BÜROKRATIE: Auch das erst 2023 vorgeschlagene Gesetz zu Waldmonitoring könnte wegen der Sorge vor zu viel Bürokratie fallengelassen werden, wie unsere Kollegen Louise Guillot und Bartosz Brzeziński aus Brüssel von zwei mit der Angelegenheit vertrauten Personen erfahren haben.

Das noch nicht verabschiedete Gesetz steht unter Beschuss von waldreichen Ländern und der Forstwirtschaft, die argumentieren, es würde die Bürokratie verschärfen.

RÜSTUNGSINDUSTRIE

WEISSER RAUCH: Beim European Defence Industrial Programme (EDIP) könnte eine Einigung unmittelbar bevorstehen. Die polnische Ratspräsidentschaft hat einen Kompromissvorschlag für das 1,5 Milliarden Euro schwere Programm unterbreitet, der unserem Kollegen Jacopo Barigazzi vorliegt.

Jetzt geht es schnell: Laut Diplomatenkreisen könnte es noch vor dem EU-Gipfel nächste Woche zu einer Einigung kommen.

Ein Streitpunkt war die Frage, ob nur Unternehmen aus EU-Ländern oder auch aus Drittstaaten förderberechtigt sein sollen. Laut dem Entwurf könnten Unterauftraggeber aus Drittstaaten an Ausschreibungen beteiligt werden, die zwischen 15 und 35 Prozent des Auftragswertes betreffen.

Ausnahmen: Eine der wichtigsten Änderungen im neuen Entwurf betrifft die Produktkategorien, die auch ohne das Prinzip der „design authority“ — also ohne EU-Kontrolle über geistiges Eigentum — gefördert werden können. 

Die neue Liste ist deutlich kürzer als in der Vorwoche. So bleibt etwa die Förderung von Raketen und Munition möglich, aber Artilleriesysteme sind beispielsweise nicht mehr enthalten.

CBAM

ANPASSUNG NÖTIG: Die EU hat sich darauf geeinigt, ihre CO2-Grenzsteuer zu überarbeiten und die meisten Importeure von den neuen Vorschriften auszunehmen.

Worum es geht: Die Gesetzgebung, Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), wird nächstes Jahr in Kraft treten und Unternehmen, die kohlenstoffintensive Produkte in die EU exportieren, dazu verpflichten, einen CO2-Preis zu zahlen, der dem entspricht, den europäische Hersteller zahlen.

Wer zahlt? Nur Unternehmen, die jährlich mehr als 50 Tonnen der von den Rechtsvorschriften erfassten Produkte einführen, müssen die Vorschriften einhalten. Das bedeutet, dass etwa 90 Prozent der EU-Importeure von den neuen Vorschriften ausgenommen sind, während 99 Prozent der importbedingten Emissionen nach den Berechnungen der Kommission weiterhin abgedeckt sind.

HEUTE WICHTIG

EU: In Luxemburg tagt bis morgen der Rat zu den Themen „Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz”.

Niedersachsen: In Hannover findet der Niedersächsische Transformationsgipfel statt. Ministerpräsident Olaf Lies soll laut Plan um 10:15 Uhr am Eröffnungspanel teilnehmen.

Das war Industrie und Handel — das Wirtschaftsbriefing von POLITICO. Vielen Dank, dass Sie uns lesen und abonnieren. Bis zur nächsten Ausgabe!

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